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Mehr Platz, mehr Grün, Meerwasser 23.07.2011
Mehr Platz, mehr Grün, Meerwasser

23.07.2011

Am 30. Juli wird in Nürnberg nach drei Jahren Bauzeit die Delphinlagune eröffnet. Vier Delphine und acht Seelöwen gewöhnen sich seit einer Woche an ihre neue, größere Umgebung. Die Kritik an der Delphinhaltung ebbt jedoch nicht ab, sondern wurde durch das Projekt befeuert.

Nürnberg - „Dieses ganze Geeier um den Platz!“ Dag Encke winkt ab. „Das ist relativ am Ziel vorbei.“ Das Ziel ist die Delfinhaltung im Nürnberger Tiergarten, die sich durch den Neubau einer Meerwasser-Lagune verbessern soll. Dabei zählen auch andere Aspekte als die Größe der Becken. „Der Platz ist fast egal“, sagt Tiergartendirektor Encke.

Er musste in letzter Zeit viel Kritik einstecken und sie wird mit der Eröffnung der Lagune am 30. Juli nicht abebben. Dafür sorgt vor allem die internationale Wal- und Delfinschutzorganisation WDCS (Whale & Dolphin Conservation Society), die das Ende der Delfinhaltung fordert.

Die Delfine, allesamt Große Tümmler, bekommen von dem ganzen Ärger nichts mit. Moby, Jenny, Sunny und Noah ziehen seit einer Woche ihre Bahnen in der neuen Freianlage. Sie sieht gut aus: sechs große Becken, eingebettet in die Natur, mit Zuschauertribüne, viel Grün, viel Stein und vor allem viel Wasser. Meerwasser, das blau in der Sonne glitzert.

Auch die Seelöwen sind schon umgezogen und platschen mit lautem Oink ins Wasser. Das Fiepen der Delfine ist dagegen nur leise zu hören. Man sieht sie, darf aber noch nicht so nah heran. Die Tiere sind zurzeit etwas empfindlich, schließlich befinden sie sich in einer völlig neuen Umgebung und müssen sich erst eingewöhnen. Sie können zwischen dem Delfinarium und der Lagune hin- und herschwimmen. Freiluftsaison ist von März bis November. Im Winter werden nur die beiden Becken genutzt, die ans Delfinarium anschließen. Sie werden mit einer Traglufthalle überspannt und geheizt.

Eingewöhnung in zwei Becken

Die beiden ersten Becken haben die Delfine bereits ausgiebig erkundet. Weiter wagen sie sich noch nicht. „Wir wissen nicht, ob sie bei der Eröffnung schon die komplette Lagune nutzen“, sagt Encke. Um die Eingewöhnung, um Training, Futter und die Becken kümmert sich das zwölfköpfige Tierpfleger-Team von Armin Fritz. „Wir haben ein wahnsinniges Knowhow. Das darf man aus fachlicher Sicht nicht aufgeben“, ist eine von Enckes Antworten auf die Frage nach Berechtigung und Zweck der Delfinhaltung.

Natürlich ist sie auch gut für die Vermarktung. „Die Delfine sind unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt der Direktor. Doch obwohl die Delfine in ihrer Freianlage mehr Platz haben und man sich nicht mehr so beklommen fühlt wie im Delfinarium, bleibt die Frage: Muss das sein? Meerestiere in Gefangenschaft, ein hoch emotionales Thema. Besucher ertragen den Tiger im Gehege besser als den Delfin im Becken. „Ich sehe da kaum einen Unterschied“, sagt Encke. „Außer dass die Leute begeistert sind, weil der Tiger im Grünen läuft.“

Aber sind die Leute nicht auch begeistert von den Delfinen? Doch. „Deshalb hat der Tiergarten drei Jahre gebaut und 24 Millionen Euro investiert“, bekräftigt Encke. Ihm habe das alte Delfinarium auch nicht gefallen. Zwar gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die bisherige Delfinhaltung nicht ausreichend war. „Die Tiere hatten keine Stresssymptome, keine Bewegungsstörungen.“ Aber sie haben jahrelang auch keinen Nachwuchs durchgebracht.

Soziales Lernen hat gefehlt

Für den Tod der Jungtiere machen die Verantwortlichen zwei Gründe aus. Zunächst das fehlende soziale Lernen: Bisher wurden die Delfine für Geburt und Aufzucht voneinander getrennt, konnten das Elterndasein also nicht voneinander abschauen.

Das problematischste Tier war Nyke, die ein Kind nicht angenommen, das nächste erschlagen hat. Sie wurde in das Delfinarium Harderwijk (Niederlande) abgegeben, wo sie in einer großen Gruppe lebt. „Dort hat Nyke gelernt, wie man mit Nachwuchs umgeht“, sagt Encke. Nykes Baby Kai wird im August ein Jahr alt. Welchen Einfluss die neue Lagune auf die Überlebensrate der Kälber in Nürnberg haben wird? „Das können wir jetzt noch nicht sagen.“

Der andere Grund für den Tod der Jungdelfine ist laut Direktor ihr schwaches Immunsystem. Wenn man die Kälber antibiotisch versorge, stiegen die Überlebensraten um bis zu 80 Prozent hoch. Antibiotisch versorgen? „Sie müssen Wildtiere managen, wenn Sie sie in Zoos halten wollen“, erwidert Encke. „Wir müssen sie impfen. Wir müssen darauf reagieren, dass die Tiere nicht in der ihrem angeborenen Immunsystem entsprechenden Umwelt leben. Wenn wir diese Methode nicht akzeptieren wollen, müssen wir die Tierhaltung aufgeben. Ganz generell.“

Genau das wäre der Wunsch der internationalen Tierschutzorganisation WDCS, die die Haltung von Wildtieren und speziell von Delfinen scharf kritisiert. Nicolas Entrup, Geschäftsführer der WDCS Deutschland, zitiert zur Begründung die Zoorichtlinie der EU. „Sie besagt, ein Tiergarten muss dem Wildtier ermöglichen, seine Bedürfnisse zu befriedigen.“ Das sei bei Delfinen von Sozialstruktur und Verhaltensansprüchen her unmöglich.

Die WDCS hat in einem Prozess gegen Tiergarten und Stadt Nürnberg Einsicht in die Akten der Delfinhaltung erstritten. Encke sagt, die Akteneinsicht macht keinen Sinn, weil die Daten schwer zu interpretieren sind. Entrup fragt, ob der Zoo etwas zu verbergen habe.

Die Stadt habe vor Gericht schriftlich argumentiert, Delfinhaltung sei kein Beitrag zum Artenschutz. Deshalb sei das Umweltinformationsgesetz, das jedem Bürger die komplette Akteneinsicht gestattet, nicht anwendbar. „Warum halten sie dann trotzdem Delfine?“


Ziel: Ende der Delphinarien

Die Tiergärten sollen endlich Konsequenzen ziehen. Das ginge wohl nicht von heute auf morgen, aber „das Auslaufen der Delfinhaltung muss das Ziel sein, wenn man die Erkenntnisse über die Tiere und ihr Leben in Betracht zieht“. Ihre Erkenntisse gewinnt die WDCS aus der Freilandforschung. Sie beobachtet seit 20 Jahren eine Gruppe von Großen Tümmlern im Nordosten Schottlands. „Die Tiere sind anhand der Rückenflosse identifiziert“, sagt Entrup, „wir kennen jeden einzelnen Delfin und können umfassende Populationsstudien machen.“

Was die Forscher sicher belegen können, ist der Freiheitsdrang der Delfine. Entrup: „Sie schwimmen weite Strecken, selbst wenn sie sonst ortstreu vor der Küste leben“. Encke kontert: „Weite Strecken zu schwimmen ist gefährlich. Solange Futter in der Nähe ist, bleiben viele Delfine ihr Leben lang in der Gruppe vor der Küste.“ Auch die Kälbersterblichkeit könne man im offenen Meer nicht zuverlässig beobachten.

Entrup meint: „Herr Encke hat nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung über Delfine in freier Wildbahn.“ Der Direktor müsse einsehen, dass man so hochentwickelte Tiere nicht zur Unterhaltung einsperren darf. Der Zoo sollte seinen Bildungsauftrag anderweitig erfüllen und sich auf die heimische Nutztierwelt konzentrieren. Was Entrup noch aufregt: „Es ist ein absoluter Skandal, dass eine Stadt Nürnberg die Bürgschaft für die Finanzierung der Lagune in Millionenhöhe eingeht, wenn diese Gelder dem Schutz der Delfine in freier Wildbahn fehlen.“

Encke ist die Kritik zu emotional. „Das nervt“. Er spricht von Kampagnenpolitik. Was wissenschaftlich bekannt sei, was Physiologie und Echoortung angeht, wisse man aus Delfinarien. Ohne dieses Wissen könnte man die Delfine draußen noch weniger einschätzen.


Prognose: Es funktioniert

Ob die Lagune angenommen wird? Der Tiergartenchef lächelt. „Das Spannende ist, mit jeder Tieranlage baut man eine Prognose. Unsere Prognose ist, dass es funktioniert.“ Aber, da ist Encke realistisch: „Sie können die tollsten Anlagen bauen und es funktioniert nicht, weil ein entscheidender Parameter fehlt, von dem Sie vorher nichts wussten.“

Quellenangabe: Fränkischer Tag / Bamberg / 23.07.2011 / Autor Irmtraud Fenn-Nebel